Arbeitsbelastung in Kindergärten nimmt zu
Kindergartenpädagogin
und Personalvertreterin Julia Fichtl berichtet von regelmäßigen Überstunden und
Eltern, die immer mehr fordern
Den ganzen Tag
spielen, basteln und singen. So stellen sich viele den Beruf einer
Kindergartenpädagogin vor. Die Realität ist jedoch eine andere. „Nichts, was im
Kindergarten vom pädagogischen Personal an Aktivitäten angeboten wird,
entspringt dem reinen Zufall“, erzählt Kindergartenpädagogin Julia Fichtl im
Gespräch mit oegb.at
Oegb.at: In Wien öffnen die Kindergärten im Vergleich zu anderen
Bundesländern sehr früh. Wann genau startet dein Arbeitstag?
Fichtl: Zwischen sechs
und halb sieben Uhr am Morgen ist die sogenannte Bringzeit, in der sich die
ersten Kinder im Kindergarten einfinden. Bis zur pädagogischen Kernzeit, ab
zirka acht Uhr, werden sie in einer Sammelgruppe betreut.
Oegb.at: Wie
sieht so ein ganz normaler Kindergartenalltag aus?
Fichtl: Nach einem
Informationsaustausch zwischen den PädagogInnen und dem Frühstück fangen die
geplanten Angebote für die Kinder an, die anhand genauer Beobachtungen und
Dokumentationen des einzelnen Kindes und auch der Gruppendynamik ausgewählt
werden. Diese umfassen teilweise Einzelförderung zur gezielten Steigerung der
Entwicklungsprozesse, aber auch situativ gesetzte Angebote finden für die ganze
Gruppe statt. Vormittags stehen auch sehr oft Bewegungseinheiten am Programm,
dafür gehen wir mit den Kindern entweder in den Garten oder in den Turnsaal
einer nahegelegenen Schule. Wichtig ist, dass Konzentrationsphasen und Bewegung
sich abwechseln. Nach dem Mittagessen, also zirka ab 12 Uhr, beginnt dann die
Ruhephase. Bereits in dieser Zeit werden die ersten Kinder von den Eltern
abgeholt. Diejenigen, die den Kindergarten ganztägig besuchen, können am
Nachmittag selbstständig oder miteinander spielen. Nachmittagsangebote werden
weiter geführt und auch Kleingruppenförderung wird angeboten. Ab 16.30 Uhr
werden die meisten Kinder abgeholt. Jene, die später abgeholt werden, kommen
dann wieder in eine Sammelgruppe.
Oegb.at: Was
passiert eigentlich, wenn ein Kind zum Beispiel nicht mitturnen oder lieber in
den Garten möchte?
Fichtl: Der Kindergartenbetrieb gestaltet sich seit Jahren „offen“. Das heißt,
die Kinder dürfen sich in der Einrichtung frei bewegen und die Angebote aller
PädagogInnen am jeweiligen Standort nutzen. Jeder Kindergarten hat ein
individuelles System, mit dem die Kinder klar kennzeichnen können, wo sie sich
aktuell aufhalten.
Oegb.at: Und
wenn ein Kind am Nachmittag nicht schlafen möchte?
Fichtl: Die Ruhephase ist besonders wichtig – nicht nur für jene Kinder, die
den Schlaf brauchen und sich ausruhen wollen. In diesen zwei Stunden haben die
Kinder, die nicht schlafen möchten, ausreichend Zeit, sich Dingen zu widmen,
die ihnen Spaß machen, oder sie bekommen Einzelförderung durch gezielte
Angebote oder im Freispiel. Und ganz wichtig: Während der Ruhephase lernen die
Kinder, Rücksicht auf andere zu nehmen.
Oegb.at: Welche
auf den ersten Blick vielleicht nicht sichtbaren Aspekte gehören noch zum
Kindergarten-Alltag?
Fichtl: Nichts, was im
Kindergarten vom pädagogischen Personal an Aktivitäten angeboten wird,
entspringt dem reinen Zufall. In Wien wird nach einem vorgegebenen Bildungsplan
gearbeitet, um auch alle Kompetenzbereiche der Kinder abzudecken. Durch die
offene Arbeit im Kindergarten müssen laufend Teamsitzungen abgehalten werden,
um die gruppenübergreifende Arbeit klar zu definieren. Zusätzlich dazu findet
einmal im Monat nach Dienstschluss eine Abendbesprechung statt, bei der den
MitarbeiterInnen die wichtigsten internen Informationen über die Entwicklungen,
Vorgaben und Weisungen der Stadt Wien Kindergärten weitergegeben werden.
Oegb.at: Nehmen
wir an, in einer Teamsitzung wird ein neues Angebot vorgeschlagen. Wie geht es
dann weiter?
Fichtl: Alle besprochenen Themen müssen schriftlich in einer einheitlich
vorgegebenen Planung zusammengefasst werden. Diese enthält den Schwerpunkt mit
einzeln aufgelisteten Angeboten, Zielen und einer didaktischen Begründung,
warum das für die Kindergruppe geeignet ist. Auch jeder Elternabend, jede
Elternaktivität und jedes Fest muss einzeln schriftlich geplant werden.
Oegb.at: Damit
ist aber die Arbeit der PädagogInnen noch nicht erledigt, oder?
Fichtl: Nein, nach Abschluss eines Projekts muss es schriftlich reflektiert
werden. Die Pädagogin muss im Alltag gezielte Beobachtungen des sozialen
Gruppengefüges sowie Einzelbeobachtungen machen. Diese fließen dann in die
Reflexion ein und dokumentieren die Rückschlüsse über wichtige Entwicklungsprozesse
beim Kind. Zudem müssen Erhebungen der Sprachkompetenz sowie individualisierte
Entwicklungsbegleitung für Kinder angefertigt werden, um die Förderungen
dementsprechend anpassen zu können.
Oegb.at: Das
klingt nach sehr viel Bürokratie. Was sind die größten Herausforderungen in
ihrer Arbeit?
Fichtl: Durch die vielen schriftlichen Dokumentationen, die mit den Jahren
zusätzlich vorgegeben wurden, reicht die Vorbereitungszeit der PädagogInnen
kaum noch aus und sie müssen einiges an Arbeit in die Freizeit verlagern. Das
führt wiederrum dazu, dass immer weniger Zeit für Erholung bleibt und
verursacht zunehmend Stress. Hinzukommt, dass Eltern wollen, dass ihr Kind
optimal für die Schule vorbereitet ist und immer mehr vom Kindergarten fordern.
Oegb.at: Das
klingt nach Personalmangel…
Fichtl: An fast allen Standorten herrscht Personalmangel (Anmerkung der
Redaktion: ca. 360 Stadt Wien Kindergärten gibt es). Aus diesem Grund müssen
Zusatzarbeiten übernommen werden. Damit der Dienstbetrieb aufrechterhalten
werden kann, sind regelmäßige Überstunden keine Seltenheit. Der Druck und die
Anforderungen steigen immer mehr und die Folge davon ist, dass viele
MitarbeiterInnen wegbrechen.
Oegb.at: Wie kann die aktuelle Situation für KindergartenpädagogInnen verbessert werden?
Fichtl: Alternsgerechte Arbeitszeitmodelle wären eine große Erleichterung für viele MitarbeiterInnen. Auch wenn es in den Stadt Wien Kindergärten schon GesundheitslotsInnen für die KollegInnen gibt, brauchen wir mehr gesundheitsfördernde Angebote. Stressprävention, Entspannungstechniken und natürlich Entlastung durch zusätzliches Personal sind nur einige Punkte, die unbedingt notwendig sind, um die PädagogInnen als wertvolle MitarbeiterInnen zu halten.